Soziodrama

Definition

Das »Soziodrama« ist eine Variante Szenisch-Psychodramatischen Arbeitens, bei der eine Gruppe gemeinsam und unter Anleitung eines entsprechend geschulten Regisseurs relevante Themen (vorwiegend aus dem Bereich der sozialen Kooperation) mittels improvisierter Rollenspiele exploriert. Ziel einer soziodramatischen Arbeit ist, die komplexe Dynamik sozialer Zusammenhänge mit ihren unterschiedlichen Interessen und Sichtweisen verstehen zu können und neue Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln.

Ablauf

Der Ablauf eines Soziodramas erfolgt in den für Rollenspiele üblichen Schritten: ErwärmungAktionIntegration

Erwärmungsphase

In der Erwärmungsphase gilt es (soweit im Vorfeld nicht bereits geschehen)

  • eine kooperative Atmosphäre unter den Teilnehmern aufzubauen;
  • ein gemeinsames Anliegen herauszuarbeiten;
  • subjektive Bedeutsamkeit des Anliegens bei allen Teilnehmern zu wecken;
  • Lust am Rollenspiel bzw. am physisch-spielerischen Umgang miteinander zu fördern.

Aktionsphase

In der Aktionsphase findet dann das eigentliche Soziodramatische Spiel statt:

Kooperatives Entwickeln einer Spielrealität:

  • Szenerie & Rollen: Ausgehend vom vereinbarten gemeinsamen Anliegen werden eine passende Szenerie entworfen und die entsprechenden Rollen definiert.
  • Szenenaufbau: Die Szene wird – soweit notwendig – gemeinsam symbolisch mit Hilfe der vorhandenen Gegenstände und Hilfsmittel eingerichtet.
  • Rolleneinführung: Die Rollen werden besetzt und von den Spielern individuell ausgestaltet. Hierbei sollte der funktionale Aspekt einer Rolle [Auftrag bzw. Zielsetzung] deutlich geklärt werden.
  • Handlungsrahmen vereinbaren: Der Verlauf der Spielhandlung wird in Grundzügen [vor]strukturiert.

Szenische Aktion:

Die soziodramatische Szenerie wird von den Rollenspielern in gemeinsamer Improvisation durchgespielt und erkundet. Hierbei hat der Regisseur zahlreiche Möglichkeiten, dramaturgisch einzugreifen und spezielle Aspekte des Geschehens zu fokussieren:

  • Selbstgespräch: Ein Spieler spricht (innere Vorgänge) aus, die im Rahmen der Handlung nicht zur Geltung kommen können.
  • Doppeln: Ungesagtes, Ambivalentes oder Ergänzendes wird von einem »Verdoppler« der Rolle mit ins Spiel gebracht;
  • Chor bzw. Stimmen aus dem Off: Interessensgruppen, die im Spiel selbst nicht als Rolle präsent sind, können aus dem Hintergrund Einwürfe machen,
  • Rollentausch: Zwei Spieler tauschen ihre Rollen aus: »Geschäftsführer« [gespielt von A] und »Mitarbeiter« [B] werden zu »Geschäftsführer« [gespielt von B] und »Mitarbeiter« [A].
  • Skulpturarbeit: Ein Geschehen anhalten und als Skulptur präzisieren lassen;
  • Wiederholung oder Zeitlupe: Aspekte des Geschehens mehrmals durchzuspielen, durchaus auch in verschiedenen Varianten.
  • usw.

Abschließen des Spiels [in den Rollen]:

Hierbei sollen die Spieler

  • Abschied von den anderen Rollen nehmen, mit ihnen möglicherweise auch fiktive abschließende Vereinbarungen treffen oder ein gemeinsames Statement formulieren.
  • die subjektiv bedeutsamsten Episoden des Spiels »in Erinnerung nehmen«
  • neue Erfahrungen, Handlungsoptionen und Lösungsansätze festhalten;
  • Gelegenheit erhalten zum Rollenfeedback: Noch in der Rolle, aber schon distanziert vom Spielgeschehen von den Erfahrungen während des Spiels berichten.

Auflösen der Spielrealität

mittels

  • Ablegen der Rollen. Dies muss sorgfältig geschehen und beinhaltet, dass so¬wohl die Spieler sich selbst wie auch einander aus der Rolle entlassen, sowie dass auch eventuelle Zuschauer (und natürlich der Regisseur) die Spieler aus der Rolle entlassen.
  • Aufräumen und Wiederherrichten des Raumes.

Integrationsphase

Die Integrationsphase dient dann abschließend dazu, die Vielzahl subjektiver Erfahrungen im Beziehungsnetz der Gruppe zusammenzuführen und auszuwerten.

  • Persönliches Sharing: Priorität hat zunächst der Austausch darüber, welche Erfahrungen im Rahmen der gespielten Rolle auf Resonanz in Form von realen persönlichen Erfahrungen der Teilnehmer stoßen (oder auch nicht). Im Mittelpunkt des persönlichen Sharings stehen vorwiegend emotionale Aspekte.
  • Thematische Auswertung: Nach dem persönlichen Sharing erfolgt der Austausch zu den Einsichten und Erkenntnissen in bezug auf das Thema der gemeinsamen Arbeit. Hierbei muss der Regisseur darauf achten, dass alle vorhandenen Meinungen und Sichtweisen – auch kontroverse – geäußert werden.
  • Konsequenzen: Je nach Themenstellung können abschließend auch Arbeitsschritte und Aufgabenverteilungen vereinbart werden.

Zur differenzierten Exploration eines Anliegens können durchaus auch mehrere Zyklen dieses Phasenverlaufs nacheinander stattfinden.

Zielsetzung

Die Soziodramatische Arbeitsweise ist wie alle Szenischen Arbeitsformen ein höchst machtvolles und komplexes Verfahren, das mit den unterschiedlichsten Zielsetzungen eingesetzt werden kann. Als Instrument der Organisationsentwicklung können mit Hilfe von Soziodramen innerbetriebliche Abläufe optimiert werden, aber auch das Zusammenspiel mit »stakeholdern« und »shareholdern«, mit der Öffentlichkeit, mit Kunden, Konkurrenten usw. untersucht werden. Im Rahmen von Trainingsmaßnahmen kann ein soziodramatisches Arbeiten zur Schulung aller Arten von sozialer Kompetenz genutzt werden, sowie zur Entwicklung einer Systemischen Betrachtungsweise.

Der große Vorteil des Soziodramatischen Vorgehens besteht in der Entwicklung einer szenisch-systemischen Perspektive, in der die subjektiven Sichtweisen einzelner Interessensgruppen enthalten sind. Diese »Allparteilichkeit« erlaubt es, einen erlebnisnahen Eindruck von der Wechselwirkung der verschiedenen Kräfte zu gewinnen, die im untersuchten Szenario vorhanden sind.

Literaturtips

Zur Einführung:

  • Roger Schaller (2001): Das große Rollenspiel-Buch. Grundtechniken, Anwendungsformen, Praxisbeispiele. Weinheim: Beltz
  • Ron Wiener (2001): Soziodrama praktisch. Soziale Kompetenz szenisch vermitteln. München: inScenario

Zur Praxis:

  • Ulf Klein & Alf von Kries (1989): Bericht über eine soziodramatische Arbeit zum Thema Aids. In: Gruppenpsychotherapie & Gruppendynamik, Jg. 1989, Vol. 24, S. 244-249
  • Josef Kramer & B. Bielefeld (1997): Teamentwicklung mit Psychodrama. In C. Obermann & F. Schiel (Hrsg.), Trainingspraxis – 22 erfolgreiche Seminare zu Vertriebstraining, Führung, Teambuilding und Unternehmensentwicklung (S. 273-285). Köln: Bachem.
  • Maja Storch & Dieter Rösner (1995): Soziodrama und Moderation als Methoden der Organisationsentwicklung. In: Psychodrama, Zeitschrift für Theorie und Praxis von Psychodrama, Soziometrie und Rollenspiel. Vol. 8(2), S.77-94
psychodrama/arbeitsformen/setting_gruppe/soziodrama.txt · Zuletzt geändert: 2009/10/11 13:09 von ulf
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