konzeptionelle Grundlagen des Psychodramas

Spiel

Der Spieltrieb ist ein Urtrieb der Menschheit”.
Artur Kutscher, Theaterwissenschaftler, 1949.

Im Zentrum der psychodramatischen Arbeitsweise steht das Spiel, vor allem das Spiel in Rollen. J.L.Moreno kam durch Kinder, die seine als Geschichtenerzähler im Wiener Augarten dargebotenen Märchengeschichten im Rollenspiel nach- und weiterspielten, darauf, das spielerische Handeln in den Dienst der Auseinandersetzung mit der Welt zu stellen - zunächst in Form des Stegreiftheaters, später dann in Form des Psychodramas.

Doch was kennzeichnet eigentlich »Spiel«?

- aus psychologischer Sicht

Rolf Oerter nennt in seiner »Psychologie des Spiels«1) drei entscheidende Merkmale:

1. Handlung um der Handlung willen

Spiel ist demnach eine besondere Form des menschlichen Handelns, da hierbei der äußere Zweck entfällt - im Gegensatz z.B. zu anderen Handlungen, deren Ziel es ist, etwas zu erreichen oder herstellen. Zweck des Spielens ist das Handeln selbst, „das lustvolle Versenken in Tätigkeiten und das lustbetonte Ausprobieren von Handlungskombinationen.2)

☞ im Psychodrama

Natürlich ist das psychodramatische Handeln nicht zweckfrei: sein Ziel im engeren Sinne ist die (nicht immer lustbetonte) Untersuchung und Erprobung von Handlungszusammenhängen mittels des Rollenspiels. Dennoch gilt hier genauso wie beim sonstigen menschlichen Spiel: die Handlung selbst steht im Mittelpunkt des psychodramatischen Handelns.

2. Wechsel des Realitätsbezugs

Die objektive Realität des Alltags wird durch das gemeinsame Handeln der Akteure, die sich im gleichen kulturellen Kontext befinden, konstituiert (Mead, 1934). Spielende setzen sich über diese verbindliche Realität hinweg und konstituieren eine neue Realität, die ihren momentanen Bedürfnissen und Zielsetzungen entspricht und deren Erfüllung zuläßt. Aber prinzipiell verfahren sie ähnlich wie bei der Konstruktion gesellschaftlicher Realität, besonders wenn sich mehrere Spieler auf ein gemeinsames Spielthema einigen.

Gregory Bateson hat sich dabei vor allem mit der Frage befasst, wie denn die beteiligten Individuen zwischen »Spiel« und »Nicht-Spiel« (»Ernst«) unterscheiden. Das Problem stellt sich, da ja im Spiel vielfach die gleichen Handlungen ausgeführt werden wie im Ernst: wie unterscheiden Spielende also, um es sich noch um Spiel oder schon um Ernst handelt?

Von Augusto Boal, dem Begründer des »Theaters der Unterdrückten«, wird z.B. die Anekdote berichtet, dass er bei seinen Theater-Reisen übers Land (in Brasilien) nach Aufführungen, in denen er den »Unterdrücker« gespielt habe, gelegentlich schon mal angegriffen, beschimpft und sogar verprügelt worden sein, weil Zuschauer ihn tatsächlich für den Unterdrücker gehalten haben - also die Unterscheidung zwischen Spiel und Ernst in diesen Fällen nicht gemacht worden ist.

Die Interaktionsform »Spiel« zeichnet nach Batesons Ansicht dadurch aus, dass Handlungen im Spiel nicht das bezeichnen, „was jene Handlungen, für die sie stehen, bezeichnen würden.3). Das heißt am Beispiel junger Katzen: „Das spielerische Zwicken bezeichnet den Biß, aber es bezeichnet nicht, was durch den Biß bezeichnet würde.” - eben eine Verletzung zuzufügen. Seiner Meinung nach ist die Entwicklung des Spiels ein wichtiger evolutionärer Schritt in der Entwicklung der Kommunikation gewesen.

»Spiel« ist nach Bateson immer mit einer Kommunikation verbunden, die deutlich macht: „Dies ist ein Spiel” und zwar in Form einer Kontextmarkierung. Im Psychodrama wird diese Kontextmarkierung vor allem (aber nicht nur) durch die Person der Regisseurin gewährleistet.

»Spielerische« Interaktionen finden sich nicht nur bei Säugetieren, auch bei Fischen lassen sich solche Interaktionsformen beobachten: Bei vielen Arten wechseln sich Phasen, in denen eine klare Rang-Hierachie besteht (»Ernst«) ab mit Phasen, in denen diese Rang-Hierachie aufgehoben ist »Spiel«. In diesen »Spiel-Phasen« testen schwächere Fische ihre Stärke immer wieder an stärkeren, in der Hierachie höheren Exemplaren. Erst wenn sie im Rahmen dieses spielerischen Kräftemessens feststellen, das sie dem Stärkeren evtl. gewachsen sind (weil sie selbst herangewachsen oder jener geschwächt ist), dann gehen sie in der »Ernst-Phase« das Risiko eines Rangordnungs-Kampfes ein, um einen höheren Platz in der Hierachie zu erreichen.

»Spiel« ist also ein zwischen den Beteiligten vereinbarter und aufrecht erhaltener kommunikativer Rahmen, der einen »Möglichkeitsraum« öffnet für Vorstellung und Phantasietätigkeit.

☞ im Psychodrama

In allen szenischen Arbeitsformen ist der Wechsel des Realitätsbezugs das zentrale Element. Mit der Vereinbarung eines Rollenspiels, der Absprache einer Bühne usw. wird dieser Wechsel in einen sehr frei gestaltbaren Möglichkeitsraum verabredet. J.L.Moreno schuf hierfür den Begriff der »Surplus Reality«, des »Realitäts-Mehrwertes«, der auf der Bühne im Spiel gegeben sei. Die Funktion der Kontextmarkierung, durch die für alle Beteiligten die Unterscheidung zwischen Spiel und Nicht-Spiel kommuniziert und gesteuert wird, ist einerseits natürlich durch den gesamten Rahmen des Settings gegeben, wird aber am stärksten durch die RegisseurIn gewährleistet.

3. Wiederholung und Ritual

Der Feiraum, der durch den Wechsel des Realitätsbezug im Spiel eröffnet wird, wird aber zugleich auch durch Regeln, Rituale und Wiederholung eingeschränkt. Dies ist wohl auch notwendig, um in diesem umfassenden Freiraum Orientierung zu geben und so Sicherheit und Geborgenheit zu gewährleisten.

☞ im Psychodrama

Die psychodramatische Arbeitsform selbst ist gelegentlich schon als Ritual beschrieben worden. (Quelle?FIXME) Allein der Ablauf des klassischen Psychodramas mit seinen drei Phasen (Erwärmung, Aktionsphase und Integrationsphase/Sharing ist ein ritueller Rahmen. Aber auch im Verlauf der psychodramatischen Arbeit sind rituelle Elemente ausgesprochen hilfreich, z.B. bei der Übernahme von Rollen und - noch wichtiger - beim Ablegen von Rollen, beim Doppeln, beim Betreten der Bühne, beim Sharing, in der Prozeßanalyse usw. Die Erfahrung zeigt, je klarer und ritualisierter eine LeiterIn solche Elemente in seine Arbeit integriert, desto sicherer fühlen sich die TeilnehmerInnen, und desto intensiver werden Spiel und emotionale Exploration.

Auch die neurophysiologischer Sicht stützt die Bedeutung der kleinen ritualisierten Elemente: für die Einhaltung eines automatisieren Handlungsablaufs (eben eines Rituals) ist weniger neuronale Aktivität notwendig, damit wird aber Potential frei für andere Hirnaktivitäten.

- »Homo Ludens«

Eine weithin anerkannte Definition für Spiel stammt von dem niederländischen Kulturanthropologen Johan Huizinga.

Spiel ist eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des ‚Andersseins’ als das ‚gewöhnliche Leben’.4)

Spontaneität

Das operative Ziel des psychodramatischen Abeitens ist, das Auftreten von neuem Handeln zu bewirken:

Spontaneität ist eine adäquate Reaktion auf eine neue Situation oder eine neue Reaktion auf eine alte Situation.
(Moreno 1967: 439)
We have called this response of an individual to a new situation - and the new response to an old situation - Spontanetity. This response can be more or less adequate.
(Moreno 19??FIXME)

Damit sind aber zwei unterschiedliche Kompetenzen beim Menschen angesprochen:

  1. Die Fähigkeit zur Innovation. Hier geht es darum, auf neue Weise zu handeln, sich frei zu machen von gewohnten Handlungs- und Denkmustern, um divergentes Denken, Experimentierfreude.
  2. Die Fähigkeit, dem Auftreten von Neuem zu begegnen. Hier geht es um Neugierde, vor allem aber um den Umgang mit der Angst und Verunsicherung, die Neues mit sich bringt.
1. Die Fähigkeit zur Innovation

Spontaneitätslage

2. Die Fähigkeit, Neuem zu begegnen

Spontaneitätstest

Für Moreno ist die Fähigkeit, spontan kompetent zu handeln, die zentrale menschliche Kompetenz. Für ihn geht es darum, den Menschen zum Schöpfer seiner eigenen Welt, zum »Gottspieler« zu machen.

Der Zyklus von Konvention (Konserve), Spontaneität & Kreativität

Hier Bezug zur Selbstorganisationstheorie entwickeln

Handlungsimpuls

Ein Ziel der psychodramatischen Arbeitstechnik besteht darin, die Protagonisten in einen Zustand zu bringen, in dem sie eigenständige Handlungsimpulse entwickeln müssen, die sog. »Spontaneitätslage« (»state of spontaneity«). Etwa indem der Protagonist in eine Spannungs-Situation gebracht wird, in der ein Handeln von Ihm/ihr gefordert ist. Etwa indem er gefordert wird, etwas zum Antagonisten zu sagen oder etwas zu tun. Im Erleben des Protagonisten entsteht im Rahmen solch einer Spannungssituation ein - noch ungestalteter - Handlungsimpuls, den es dann weiter auszugestalten und in seiner Wikrkung im Rahmen der Szene zu explorieren ist.

Exkurs: Bateson - Frage auf biologischer Ebene

hier Zitat einfügen

Rollentheorie

Der Rollen-Begriff

Eine Rolle im psychodramatischen Sinne bezeichnet ein komplexes Handlungsmuster, das einerseits funktional bestimmt ist (Rollen beschreiben bestimmte Funktionszusammenhänge) - dies ist der normative Aspekt einer Rolle -, das andererseits aber in der individuellen Ausprägung frei gestaltbar ist (der kreative Aspekt einer Rolle). Rollen sind also als Handlungspotentiale anzusehen, die erst im konkreten Handeln kreativ ausgestaltet wird.

Der Begriff der Rolle stammt aus der Theaterwelt (Papyrus-Rolle, auf der der Text des Schauspielers notiert war) und ist zu einem Standardbegriff in der Soziologie geworden.

Besonders nützlich ist es, den Rollenbegriff aus einer systemisch-konstruktivistischen Perspektive zu betrachten: Rolle als Setzung eines Beobachters: ein Handlungszusammenhang wird - orientiert an einer Fuktion bzw. einem Funktionszusammenhang - von der Menge aller Interaktionen abgegrenzt.

Dimensionen von Rollen

  • physisch (biologisch, somatisch)
  • psychisch (seelisch, kognitive, Innenwelt)
  • sozial (interaktionell)
  • transzendentell (von Gretel Leutz eingeführt)
Rollendimensionen nach A. Williams
  • Kontext
  • Behaviour (Verhalten / konkretes Handeln)
  • Feelings
  • Beliefs (meaning: Bedeutung, Sinnstiftung)
  • Consequences (Effekt, Wirkung)

Embodiment

FIXME (Embodiment ist subjectiv sehr aussagekräftig)

Begegnung

A meeting of two: eye to eye, face to face.
and when you are near I will tear your eyes out
and place them instead of mine,
and you will tear my eyes out
and will place them instead of yours
then I will look at you with your eyes …
and you will look at me with mine.“
(Quelle ?FIXME)

Die soziale Dynamik von Kooperation und Konkurrenz (Soziometrie)

1) R. Oerter, Psychologie des Spiels. München: Quintessenz 1993
2) a.a.O. S.6
3) G.Bateson, Ökologie des Geistes, 1981: 244
4) Johan Huizinga: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Amsterdam: 1938/1991: 37
psychodrama/grundlagen/konzeptionelle_grundlagen.txt · Zuletzt geändert: 2013/06/28 16:16 (Externe Bearbeitung)
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