Spektrogramm
Mit einem Spektrogramm wird in einer Gruppe ein Meinungsbild zu einem spezifischen Kriterium erhoben. Das Erarbeiten eines Spektrogramms ist also eine gruppendynamische Technik der Aktionssoziometrie und ermöglicht Gruppen, aus einer polaren Konfrontation zu einer differenzierteren Auseinandersetzung zu kommen. Die Spektrogramm-Technik ist eng verwandt mit der szenischen Skalenarbeit.
Vorgehen
Phase 1: Erarbeiten des Spektrogramms
Die Leiterin der Gruppe markiert im Raum in entsprechendem Abstand die beiden Pole des Meinungsspektrums. Dies geschieht am besten und deutlichsten, indem sie nacheinander zu jedem der beiden Pole geht, einen Bodenanker (Moderationskarte, Stuhl, Kissen etc.) platziert, in die entsprechende Rolle geht und aus ihr heraus in Form eines Monologs die Bedeutung dieser Position verdeutlicht (Ich-Aussage).
Danach werden die Gruppenteilnehmer gebeten, den für sie persönlich geltenden Standpunkt zwischen diesen beiden Polen aufzusuchen und einzunehmen. In aller Regel kommen die Teilnehmer dieser Aufforderung problemlos nach, zuweilen zeigen sich einzelne Teilnehmer ambivalent und wechseln zwischen zwei Standpunkten hin und her. Gelegentlich drängen sich auch mehrere Teilnehmer auf einem Spektrogramm-Punkt zusammen, dann reicht aber ein kurzer Hinweis, das sich die Teilnehmer nebeneinander quer zum Spektrogramm aufstellen können (z.B: “Sie können natürlich die ganze Breite des Raums nutzen und sich nebeneinanderstellen!“)
Phase 2: Auswerten des Spektrogramms
Die Gruppenmitglieder haben auf diese Weise „Position bezogen”, allerdings gilt es noch, diese allen sichtbare »analoge Information« zu erläutern, untereinander abzugleichen und auf ihre Bedeutung im Rahmen der Gruppe hin zu untersuchen. Dazu stehen drei typische Vorgehensweisen zur Verfügung.
Zuvor sollte die Leiterin die Teilnehmer aber noch auffordern, sich bei Beibehaltung der Position auf dem Meinungsspektrum in einem Bogen aufzustellen, „so dass jeder jeden sehen und zuhören kann”. Alternativ ist auch das »Spalier bilden« möglich. Wenn auf diese Weise das Setting auf die ganze Gruppe hin ausgerichtet ist, sollte eine der folgenden Auswertungsformen durchgeführt werden:
Die Leiterin interviewt die Gruppenmitglieder in bunter Reihenfolge bzw. der Reihe nach zu der Frage: Warum stehst Du da, wo Du stehst? oder Was drücken Sie mit Ihrem Standpunkt hier an dieser Stelle aus? Bei dieser Vorgehensweise läuft die Kommunikation vor allem über die Leitung und ihre Fragen, die Gruppenmitglieder hören aber im wesentlichen nur zu. Das bringt meist ein Absinken des Aktivitätsniveaus (»Erwärmung«) mit sich.
Diese Form der Auswertung eignet sich daher besonders für Situationen, in denen in der Gruppe ein zu hohes Aktivitätsniveau besteht, bei dem kein geordneter Kommunikationsprozess mehr zustande kommt - also in hoch emotionalen Konfliktsituationen, zur „Beruhigung der Gemüter” und um das Wechselspiel zwischen Reden und Zuhören wiederherzustellen. Oder aber für Situationen, in denen ein hohes Angstniveau besteht, so daß „niemand die Zähne auseinander kriegt” - also in Anfangssituationen, in denen die Teilnehmer sich noch gar nicht kennen, oder wenn Tabuthemen angegangen werden.
Die Leiterin fordert die Gruppenmitglieder auf, sich für einige Minuten mit ihrer Nachbarin über die Frage zu unterhalten
Warum stehst Du auch hier? Verbindet uns da etwas oder verdeutlichen wir hier zwei verschiedene Aspekte im Meinungsbild? In aller Regel entwickeln sich recht lebhafte Gespräche, in denen es den Gruppenmitglieder gelingt, ihre z.T. ja eher noch diffusen Meinungen in Worte zu fassen. Wenn das Aktivitätsniveau nach 3-10 Minuten absinkt (Geräuschpegel), sollte die Leiterin die Gruppenmitglieder unterbrechen und die Gesprächspartner für alle hörbar interviewen, mit dem Fokus auf evtl. gefundene Gemeinsamkeiten. Es empfiehlt sich, zunächst die Gruppenmitglieder an den Enden des Spektrogramms sich äußern zu lassen, damit das Meinungsspektrum in seiner ganzenm Breite schon benannt/bekannt ist, bevor die im Mittelbereich stehenden Teilnehmer zu Wort kommen: Dadurch werden ihre Äußerungen, die naturgemäß ambivalenter sind, auch eher als differenzierter wahrgenommen und anregender für die Diskussion.
Diese Vorgehensweise sollte das Standardvorgehen sein, weil die Gruppe sich hierbei als selbst aktiv forschend erlebt, der Prozess zugleich aber auch für alle gut nachvollziehbar strukturiert wird. Es ensteht ein hohes Maß an Information in der Gruppe selbst, jeder ist aktiv, wodurch meist auch ein gutes gemeinsames Aktivitätsniveau beibehalten wird. Außerdem wird durch die gemeinsame Aktivität die
soziometrische Gleichheit und das Gefühl der Gemeinsamkeit gepflegt.
Die dritte Auswertungsform ist nur für „gereifte” Gruppen geeignet, die bereits gelernt haben, sich auch mit kontroversen Themen respektvoll, differenziert und ohne Polarisierung zu befassen. Ist ein solcher Rahmen gegeben, so kann die Leiterin die Gruppenmitglieder, die an den Endpunkten des Meinungsbildes stehen, auffordern, sich über die Bedeutung ihrer Positionen zu unterhalten, und darüber, was sie vom Standpunkt des anderen halten. Nach und nach fordert die Leitung dann die übrigen Gruppenmitglieder aus dem Bereich zwischen diesen Positionen auf, sich mit ihren Ansichten und Bewertungen anderer Ansichten in die Diskussion einzuschalten.
Der Zweck eines Spektrogramms liegt darin, die Gruppe aus einer Polarisierung herauszuführen und in einen differenzierteren Kommunikationsprozess eintreten zu lassen, der auch vielschichtigere, ambivalente oder noch unfertige Meinungsäußerungen möglich macht. Es geht nicht darum, Entscheidungen herbeizuführen, etwa im Sinne einer Abstimmung (auch wenn Spektrogramme im Prozeß der Entscheidungsvorbereitung höchst nützlich sind). Daher sollte der Prozess auch mit einem Austausch der ganzen Gruppe zur Frage enden, was jeder einzelne von dem erarbeiteten Meinungsspektrum hält und welche Folgerungen und Konsequenzen sich daraus möglicherweise ergeben.
Literatur zum Spektrogramm